Alkohol, Drogen, Glücksspiele – sie verursachen Süchte und damit Probleme in allen
Bereichen der Gesellschaft. Und sie gefährden vor allem das Leben vieler Menschen. Um dem vorzubeugen und Hilfen anzubieten, wenn eine Abhängigkeit vorliegt, wurde im Bezirksamt Neukölln eine zusätzliche Stelle in der Suchtkoordination geschaffen. Seit August dieses Jahres ist Lilli Böwe Suchtkoordinatorin. In einem Gespräch mit der Webredaktion des Quartiersmanagements stellt sie sich und ihre Arbeit vor.
QM: Was sind Ihre Aufgaben als Suchtkoordinatorin?
Lilli Böwe: Das ist eine Sonderstelle, die nur für den Bereich Konsum im öffentlichen Raum und langfristig auch für die Prävention geschaffen wurde. Neukölln hat damit als einziger Bezirk Berlins zwei Verantwortliche im Aufgabengebiet der bezirklichen Suchthilfekoordination. Für die anderen Aufgaben wie Planung, Koordinierung und Vermittlung von Angeboten der Suchthilfe und Suchtprävention, Vernetzen der Einrichtungen, sozialen Dienste und Ansprechpartner ist mein Kollege Wolfgang Jas, Abteilungsleiter Stabsstelle QPK, zuständig.
QM: Warum war Ihre zusätzliche Stelle notwendig?
Lilli Böwe: Besonders in Neukölln findet der Konsum von Suchtmitteln im öffentlichen
Raum statt, auf der Straße, auf Plätzen, in Bahnhöfen. Das ist eine deutliche
Beeinträchtigung für Andere. Um diesem Problem zu begegnen, wurde meine Stelle
eingerichtet. Langfristig gesehen werde ich mich auch auf die Prävention konzentrieren.
QM: Haben Sie Erfahrungen in der Arbeit mit Drogenabhängigen?
Lilli Böwe: Ich war jahrelang in der Suchthilfe tätig und in der aufsuchenden Sozialarbeit
mit Drogen konsumierenden Frauen und Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter auf der Kurfürstenstraße.
QM: Gibt es Gegenden im Bezirk, wo es ein besonderes Suchtproblem gibt?
Lilli Böwe: Neukölln ist schon ein belasteter Bezirk, ähnlich wie Wedding oder Kreuzberg.
Natürlich gibt es eine hohe Belastung in Nordneukölln, aber auch im südlichen Teil. Da sind es weniger die Konsumentinnen und Konsumenten von illegalen Substanzen, sondern eher die „Freilufttrinker“. Gerade Alkoholismus ist in allen Bevölkerungsgruppen sehr weit verbreitet. Man darf aber auch nicht vergessen: In Deutschland gibt es die größte Abhängigkeit von legalen Substanzen.
Spitzenreiter ist dabei der Medikamentenmissbrauch. Heroin, Kokain oder Crack haben zwar die größten Auswirkungen auf den öffentlichen Raum, verursachen aber nicht die
größten Kosten im Gesundheitssystem. Alkohol und Zigaretten fordern die meisten Toten und Kaffee, Fett und Zucker belasten am meisten die Krankenkassen.
QM: Die Bürgerinnen und Bürger haben manchmal den Eindruck, sie werden mit den
daraus resultierenden Problemen alleingelassen.
Lilli Böwe: Nein, das werden sie nicht. Es gibt zahlreiche Ansätze, wie man damit umgehen kann und muss, aber eine perfekte Lösung gibt es nicht.
QM: Können Sie mal einen beschreiben?
Lilli Böwe: Zum Beispiel die Einrichtung von Druckräumen, in denen sich die Konsumentinnen und Konsumenten unter Aufsicht und hygienischen Bedingungen spritzen können. Das mag sich merkwürdig anhören, aber das entlastet ganz immens das Umfeld. Die Abhängigen sind von der Straße und man kann ihnen Hilfe anbieten. Im Druckraum an der Karl-Marx-Straße werden pro Jahr mehr als 5000 Mal Drogen gespritzt – mit 5000 Spritzen, die nicht in den öffentlichen Raum gelangen. Das sehe ich als Gewinn.
Leider sucht nicht jeder Betroffene diese Räume auf, weil es Sprachbarrieren gibt oder man sich an bestimmte Regeln halten muss. Insbesondere Abhängige aus Osteuropa haben schlechte Erfahrungen mit staatlichen Angeboten gemacht, da müssen wir noch viel Aufklärungsarbeit leisten.
QM: Wie werden denn die Menschen erreicht, die jetzt nicht in den Druckraum gehen?
Lilli Böwe: Durch Streetworking. Das Team Neukölln von „Gangway“ e. V. kümmert sich um wohnungslose Menschen. Straßensozialarbeitende des Drogenkonsumraumes „Druckausgleich“ sind mehrmals die Woche einige Stunden unterwegs, um die Süchtigen aufzusuchen, sie anzusprechen, Spritzenmaterial auszugeben und Hilfsangebote zu unterbreiten. Weil damit die Menschen direkt erreicht werden, finanziert das der Bezirk, obwohl es eigentlich Aufgabe des Senats ist, der das aber derzeit nicht macht.
QM: Trotzdem werden immer wieder mal benutzte Spritzen auf Spielplätzen gefunden.
Lilli Böwe: Das stimmt, obwohl in Neukölln die Spielplätze in relativ kleinen Abständen gereinigt werden, vorwiegend schon morgens. In verschiedenen Gremien sind wir mit allen Trägern, Fachämtern und anderen Beteiligten wie der BSR, der BVG, dem Ordnungsamt und der Polizei in regelmäßigem Austausch. Trotzdem kann es schon mal etwas länger dauern, bis eine Lösung für ein Problem gefunden wird.
Um einen Spritzenfund zu melden, empfehle ich die Ordnungsamt-App. Wer an einem Ort vermehrt Drogen- oder Alkoholkonsum bemerkt, kann sich natürlich auch an mich wenden.
Die Broschüre „Umsicht – Vorsicht“ steht als Download zur Verfügung und wird ab Januar in gedruckten Ausgaben auch im Vor-Ort-Büro des Quartiersmanagements erhältlich sein. Dort finden sich viele Tipps, wie man Suchtproblemen und ihren Auswirkungen begegnen kann.
Da das Ordnungsamt nicht für private Bereiche zuständig ist wie beispielsweise Innenhöfe
von Wohnanlagen, stellen wir bei Bedarf Spritzenabwurfbehälter zur Verfügung, die sind
sicher und hygienisch und können in der grauen Tonne entsorgt werden.
QM: Bei all den Problemen ist da doch Prävention um so wichtiger?
Lilli Böwe: Natürlich. In Neukölln haben wir eine Präventionskette, die beginnt schon in der Schwangerschaft mit der Aufklärung über Folgeschäden bei Suchtmittelmissbrauch. Die
Stadtteilmütter, die Familien mit Migrationshintergrund betreuen, haben einen
Fortbildungsbaustein zur Suchtprävention.
In den Schulen gestaltet sich das etwas schwieriger. Sie sind zwar verpflichtet, pro Jahr ein Präventionsangebot zu machen, aber wer das macht, ist ihnen freigestellt. Da wünsche ich mir mehr Austausch mit den Schulen. Gerade arbeite ich an einem neuen Präventionsprojekt, das ich gerne Ende des nächsten Jahres in den QM-Gebieten durchführen möchte.
QM: Vielen Dank für das Gespräch.
Lilli Böwe ist per E-Mail erreichbar oder per Tel.:/Fax: 030-902 39 23 80/- 2886